Geschichte zu vermarkten haftet nach wie vor etwas Verruchtes an. Geschichtswissenschaftliche Forschungs- ergebnisse über ihren Selbstzweck hinaus für wirtschaftliche Zwecke zu nutzen, kennt im deutschsprachigen Raum keine Tradition und ist institutionell kaum verankert.
Mit dem Begriff der „Vergangenheitsbewirtschaftung“ kreierte Iris Hanika einen Neologismus im Umfeld der Holocaustbewältigung, um einen bereits oftmals im geschichtswissenschaftlichen Diskurs stehenden Bereich zu klassifizieren und literarisch zu brechen. Auch wenn Hanika den Begriff ursprünglich für die sinnvolle und wertschöpfende Nutzung im immateriellen Sinn versteht, scheint er dennoch im Bereich der Geschichtskultur auf Wichtiges zu verweisen. Denn unter „Vergangenheitsbewirtschaftung“ kann man die Transformation von vorhandenen Ressourcen, welche in der Gegenwart aus der Vergangenheit in Form von Ideen, Relikten, Erzählungen etc. verfügbar sind, in Güter mit höherem Geldwert verstehen. Die Fragen, denen in diesem Sammelbandprojekt nachgegangen werden soll, versuchen das Spannungsverhältnis zwischen forschender Praxis, wirtschaftlicher Verwertbarkeit und moralisch-ethischer Dimensionierung aufzugreifen, um eine differenzierte Orientierung im Umfeld der im deutschsprachigen Raum erwachenden „Public History“ zu gewinnen.
Themenfelder, die dabei berührt werden sollten, sind folgende:
1) Geschichte als Wirtschaftsfaktor
Es gilt dabei der Frage nachzugehen, unter welchen Bedingungen Geschichte bzw. die Beschäftigung mit Vergangenheit zum Wirtschaftsfaktor wird, um über eine systematische Bewirtschaftung eines bestimmten Segmentes am Markt (außergewöhnlichen) monetären Erfolg zu erlangen. Beispiele dazu können in der Medienkultur, im Tourismus etc. verortet werden.
2) Forschende Praxis des „History Consulting“
Welche Rolle spielen bei der Vergangenheitsbewirtschaftung die Geschichtswissenschaftler/innen als Experten/innen, die als Vertragspartner/innen der Wirtschaft unter anderen Rahmenbedingungen arbeiten als dies die akademische Welt gewohnt ist oder vorbereitet? Welche besonderen Anforderungen werden an Produkte der Vergangenheitsbewirtschaftung gestellt, die meist neben der sprachlichen Kühle und reflektierten Distanz auch auf hohe Emotionalität, besondere Ästhetik und intensive Imagination setzen, um erhöhte Aufmerksamkeit zu erfahren?
3) Vergangenheitsbewirtschaftung als ethisch-moralisches Problem
Welche ethischen Standards sind in diesem Umfeld mitzudenken? Benötigt es eine besondere Ethik der Geschichtswissenschaft, um derartige Momente der wirtschaftlichen Orientierung bewältigen zu können? Neben diesen Aspekten der theoretischen Annäherung zwischen geschichtswissenschaftlicher Erkenntnistheorie und geschichtswissenschaftlicher Ethik können auch Fallbeispiele aus unterschiedlichen Sektoren der Wirtschaft und für unterschiedliche Abschnitte der bewirtschafteten Vergangenheit herangezogen werden, um über Case Studies dichte Einblicke in die Verstrickung zwischen wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und ethischen Dimension zu gewähren.
Literatur zur Ethik der Geschichtswissenschaft von Ch. Kühberger: Link
Laufzeit: August 2010 - Februar 2012
Leitung: Christoph Kühberger
Beiträge u.a. von B. Ziegler, K. Kuhn, F. Ackermann, St. Samida, A. Breit, C. Schütze, J. Lindner, E. Windischbauer, M. Grieger, J. Bauer, S. Frank
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Der Sammelband ist im Februar 2012 im Studienverlag (Wien - Innsbnruck - Bozen) erschienen.